Im 17. Jahrhundert stieg die Zahl der Menschen, die aufgrund von Unwettern, Missernten, der dadurch explodierenden Lebensmittelpreise und schlechter Verdienstmöglichkeiten unter Armut und Hunger litten, rasant an. Parallel zu der wachsenden Not bildeten sich jedoch auch zahlreiche Wohltätigkeitsstiftungen in der Stadt, die Schutz- und Hilfsbedürftige aufnahmen. So auch das ehemals reformierte Waisenhaus am Lahntor, dessen Räume der Bäckermeister Johann E. Neumann 1712 an die Waisenhaus-Stiftung übergab.
Da über die Ausrichtung des protestantischen Religionsunterrichts keine Einigung erzielt wurde, verzichtete das lutherische Ministerium auf seinen Anteil der Schenkung und errichtete 1766 stattdessen eine eigene Einrichtung in der Untergasse. Auch wenn sich die Häuser in den ersten Jahren durch großzügige Sach- und Geldspenden der Marburger Bevölkerung gut halten konnten, bereitete die Finanzierung über die Jahre hinweg immer wieder Probleme. 1810 wurden die Einrichtungen – wohl aus ökonomischen Gründen – zu einem Vereinigten Waisenhaus zusammengelegt. Der hölzerne Opferstock, der sich einst neben dem Portal befand, diente dem Sammeln von Almosen. Seit 1914 befindet sich an dem ehemaligen Standort des Waisenhauses die Juristische Fakultät der Universität. (KG)
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