Bellender Husten, Atemnot und schließlich qualvolles Ersticken –
die Diphtherie forderte noch bis zum Ende des 19.Jahrhunderts
tausende Opfer. Besonders Kinder erlagen der Krankheit, allein in
Deutschland waren es jährlich 60.000. Die Medizin hatte der
Krankheit wenig entgegenzusetzen. Chirurgen operierten ohne
Betäubung. Deshalb wurden im 19. Jahrhundert auch nur die
Todgeweihten, von ihnen behandelt. Die an der Diphtherie erkrankten
Kinder waren solche hoffnungslosen Fälle. Bei ihnen versuchte man
den Luftröhrenschnitt. Doch danach starben 75 Prozent der Kinder am
Wundbrand oder verbluteten.
1854 bis 1858 wurde eine neue chirurgische Klinik am Pilgrimstein
eingerichtet. Als Kurhessen nach dem Preußisch-Österreichischen
Krieg 1866 an Preußen kam, wurde die Medizinische Fakultät der
Philipps-Universität zu einer deutschlandweit führenden Einrichtung
ausgebaut. Das war vor allem ein Verdienst des preußischen
Regierungsrates und Universitätsreferenten Friedrich Althoff. Er
förderte in den 1880-er Jahren den Ausbau des noch heute so
genannten „Klinikviertels“. Seine für Marburg wichtigste Tat
gelang Althoff 1895: Er ließ den 40-jährigen Emil Behring zum
Professor für Hygiene und Direktor des Hygienischen Instituts in der
Deutschhausstraße berufen.
Behring war ein Vertreter des relativ jungen medizinischen
Forschungszweigs Bakteriologie. Traditionsbewusste Mediziner sprachen
vom „Bakterienschwindel“. Sie waren noch nicht einmal von der
Ansteckungsgefahr der Diphtherie überzeugt und griffen ihren
Patienten nacheinander und ohne sich die Hände zu desinfizieren in
den Mund. Behring kam auf den Gedanken, dass ein im Körper von
Versuchstieren hergestelltes Gegengift die Diphterie wirksam
bekämpfen könnte. In endlosen Versuchsreihen gelang es ihm zusammen
mit seinem Mitarbeiter Erich Wernicke, ein wirksames Heilserum
herzustellen. 1891 wurde es einem diphteriekranken Kind eingespritzt,
das die Ärzte bereits aufgegeben hatten. Es wurde gesund.
Die neue Therapie senkte die Sterblichkeitsrate bei Diphterie von über 130 Fällen pro 100.000 Einwohner auf 25. In der Marbach gründete Behring mit dem Marburger Apotheker Carl Siebert sein eigenes „Behringwerk“. In jahrelanger Arbeit gelang es ihm, einen Impfstoff zur aktiven Immunisierung gegen Diphterie zu entwickeln. Für diese Leistung wurde ihm 1901 der erste Nobelpreis für Medizin verliehen. Etwas Vergleichbares gelang ihm im Verlauf des ersten Weltkriegs mit einem Heilmittel und Impfstoff gegen den Tetanuserreger. Deshalb wurde er nicht nur als „Retter der Kinder“, sondern auch als „Retter der Soldaten“ gefeiert.
copyright: © Bildarchiv Foto Marburg