Viele Jahre bewachte der Holzsoldat die 16.000 Bücher umfassende
Bibliothek des berühmten Marburger Medizinprofessors Ernst Gottfried
Baldinger. Doch das war gewissermaßen schon sein Ruhestand.
Eigentlich war es seine Aufgabe, bei der Rekrutierung echter Soldaten
zu helfen. Die Figur trägt gelbe Hosen, einen blauen, mit roten
Borten abgesetzten Uniformrock und schwarze Gamaschen. Daran kann man
erkennen, dass er einen Soldaten des Regiments „Erbprinz
Hessen-Hanau“ darstellt. Die Figur ist daher mindestens 240 Jahre
alt. Und sie war Teil eines Phänomens, das man als groß angelegten
Betrug deuten kann.
Denn
der Holzsoldat stand einst auf den Marktplätzen der Städte, vor
Landgasthöfen und manchmal auch an den Zollschranken Hessens. Mit
seinem schmucken Aussehen sollte er die jungen Männer blenden.
Lehrlinge, Bauernburschen oder Handwerksgesellen sollten glauben,
dass auch sie so sauber und gesund aussehen könnten, wenn sie sich
als Soldaten anwerben lassen. Doch so war es nicht. Wenn sie erst
einmal Soldaten waren, wurde ihnen bei jeder Gelegenheit Gehorsam
eingeprügelt. Und auch der Sold war knapp. Kein Wunder, dass ein
Viertel der angeworbenen Soldaten so bald wie möglich desertierte.
Im
Zeitalter des Absolutismus sammelten manche Fürsten gewissermaßen
Soldaten und verbrachten ihre Zeit damit, sie exerzieren zu lassen.
Man nannte das tatsächlich: Soldatenspielerei. Aber nicht alle
hessischen Landgrafen nutzten ihre Soldaten als bloße
Paradesoldaten. Die damalige Kriegsführung forderte enorm viele
Todesopfer. Da galt es, immer neue Ersatztruppen zu haben. Das Leben
der einzelnen Soldaten bedeutete den Herrschenden nicht viel. Einen
Wert hatte es für sie aber doch, denn die kleineren Fürsten
vermieteten ihre Soldaten an kriegführende Länder und Könige.
Zwischen 1677 und 1815 schlossen allein die Landgrafen von
Hessen-Kassel 37 solche Verträge. Landgraf Wilhelm der VIII. brachte
es sogar fertig, im Österreichischen Erbfolgekrieg hessische
Untertanen an beide Parteien zu verkaufen.
Immer weniger junge Männer fielen auf die Werber und die Holzsoldaten herein. Friedrich II., Landgraf von Hessen-Kassel, ließ deshalb junge Männer auch mit Gewalt in seine Armee zwingen. Dann vermietete er sie an England, das sie gegen die Amerikaner einsetzte.
Der „arbeitslose“ Holzsoldat jedoch landete schließlich bei dem Medizinprofessor, der seine Karriere als Militärarzt begonnen hatte. Und heute kann man den hölzernen Zeitzeugen im Marburger Schloss besuchen.
copyright: © Bildarchiv Foto Marburg